Inne halten: Gemeinschaft und Individualität im Glauben gehören zusammen

Neumarkt (dbnm) - Pfarrer Stefan Wingen, stellvertretender Dekan des Dekanates Neumarkt, beschäftigt sich mit der Frage, wie in diesen Tagen Christ-Sein ohne die Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst gelingen kann.

Zwei Wochen sind die öffentlichen Gottesdienste jetzt nun schon ausgesetzt. Wir wissen nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird. Gerade an den Kar- und Ostertagen werden wir die Gemeinschaft im Gottesdienst schmerzlich vermissen. Die sonntägliche Feier der Eucharistie gehört doch für uns Katholiken zum Wesen des Christ-Seins!

In diesen Tagen spüren wir: Wir können ohne den Sonntag nicht und ohne die Eucharistie nicht leben, denn sie ist „Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Lebens“, wie es das Zweite Vatikanische Konzil so wunderbar sagt. Dass das Volk Gottes aber mit Leib und Seele an der Feier der Eucharistie teilnimmt, ist derzeit leider nicht möglich. Und dennoch sind Sie alle dabei! Die Wirklichkeit, die uns im Gottesdienst begegnet, übersteigt unser Verstehen. Die Solidarität und Verbundenheit, die uns in Gott eint, übersteigt die Kategorien von Raum und Zeit. Wie gut es doch etwa dem Enkel tut zu wissen, dass die Oma genau zur Stunde seiner Prüfung für ihn betet. Die Gläubigen dürfen sich daher mit den Gebeten und den Gottesdiensten, die derzeit bei verschlossenen Türen in unseren Kirchen gefeiert werden, verbunden und mitgetragen wissen.

Wenn die Feier der heiligen Messe ein Höhepunkt ist, dann muss es logischerweise auch noch weitere Stufen des kirchlichen Lebens geben. Nur den einen Höhepunkt, isoliert für sich, kann es nicht geben. Wäre der tägliche Champagner noch etwas Besonderes? Unsere Glaubens- und Gebetstradition ist so unendlich reich. Verschiedene Spiritualitäten und Andachtsformen nehmen unser Menschsein und unsere unterschiedlichen Zugänge zu Gott ernst. Der eine liebt den Rosenkranz, die andere Musik aus Taizé. Jener schätzt die stille Betrachtung einer Bibelstelle, wieder jemand spricht täglich mit seinem Herrgott auf ganz persönliche und freie Weise. In dieser Zeit der Krise haben wir die Gelegenheit, dass wir unsere individuellen Wege zu Gott und mit Gott neu entdecken können und dürfen. Die communio, die Gemeinschaft der geistlichen Frauen und Männer als Individuen macht die Kirche aus! Individualität und Gemeinschaft: kein Widerspruch!

Haben Sie deshalb gerade jetzt den Mut, einmal Neues auszuprobieren und Ungeahntes zu entdecken! Schon im Jahr 1922 sagte der große Münchner Theologe Romano Guardini „Die Kirche erwacht in den Seelen." Die „Kirche in uns“ kann auch im April 2020 erwachen, wenn wir es zulassen!

Es gibt neben dem Sakrament der Eucharistie ja auch die Quelle des Wortes, aus der wir schöpfen dürfen. Gott ist uns in seinem Wort nahe. Er ist der ICH BIN DA. ER will das Heil dieser Welt. Sein Wort ist lebendige Kommunikation, konkrete und liebevolle Zuwendung zu uns. Wenn wir aufmerksam hinhören, können wir seine tröstende und mutmachende Stimme der Hoffnung hören, die uns ganz konkret anspricht.

Ich wünsche uns in diesen Tagen die Erfahrung, dass ER auch in unserem Leben da ist! Ich wünsche uns  Trost und Kraft vor allem aus dem Wort Gottes, das uns in der Bibel geschenkt ist, und das darauf wartet, von uns in die Hand genommen zu werden! Und dann freue mich jetzt schon so sehr darauf, wenn wir wieder physisch vereint miteinander Gottesdienste feiern dürfen!

Passen Sie gut auf sich auf!

Ihr Stefan Wingen

In der Reihe "INNE HALTEN" wurden zuletzt veröffentlicht:

1.4.2020 - INNE HALTEN - "Berühren, aber nicht anfassen!" von Christian Schrödl

30.3.2020 - INNE HALTEN - "Risikopatient Kirche?" von Christian Schrödl

28.3.2020 - INNE HALTEN - "Öffne deine Sinne!" von Klaus Eifler

26.3.2020 - INNE HALTEN - "Kommunionhelfer gebraucht?!" von Christian Schrödl

19.3.2020 - INNE HALTEN - Christian Schrödl zum Josefstag